Wirkungsfeld Führung
Fähigkeiten (wieder)entdecken: Methoden und Tools für die Neugier im Team
Kennen Sie die Situation? Nach langer Zeit gehen Sie endlich mal wieder in Ihr Lieblingsrestaurant. Sie schauen auf die Speisekarte und sind noch etwas unschlüssig. Der Kellner kommt und bringt Ihnen einen „kleinen Gruß aus der Küche“ („Amuse Gueule“). Sie sind angenehm überrascht und probieren neugierig das kleine Appetithäppchen. Sie genießen die überraschende Gaumenfreude und entdecken diese für sich gewissermaßen neu, weit weg von einem schnellen Frühstück „auf dem Sprung“, einem kleinen Imbiss zwischendurch oder dem aufgewärmten Fertiggericht aus dem Tiefkühlfach. Die Speisekarte wird regelrecht lebendig; Sie bekommen Appetit auf mehr und stellen erwartungsfroh Ihr persönliches Menü zusammen.
Es gibt eine Vielzahl von kleinen Rezepten, die es insbesondere Führungskräften ermöglicht, die Alltagsroutine und den permanenten Leistungsdruck für ihr eigenes Team zu durchbrechen und durch kleine wohldosierte Impulse, die Neugier und die Resilienz Ihrer Mitarbeitenden zu aktivieren. Die sogenannte „Question Formulation Technique“ ist eines dieser Rezepte.
Die Sozialpsychologie kennt den Ausdruck „kognitive Dissonanzen“: Damit werden mehrere unvereinbaren Gedanken, Einstellungen, Wahrnehmungen oder Verhaltensweisen benannt, die der Mensch als für sich unstimmig einstuft und meist als unangenehm empfindet. Menschen versuchen gemeinhin, solche Dissonanzen aktiv zu reduzieren, um so ihr Denken und Handeln wieder in Einklang zu bekommen.
Diesen Vorgang macht sich die Question Formulation Technique zu nutze. Der Antritt ist so einfach wie (bewusst!) irritierend: Es ist nicht erlaubt, (wie gemeinhin üblich) einer Problemstellung aktiv mit Lösungsvorschlägen zu begegnen, sondern „nur“ mit Fragen, die zudem weder diskutiert noch beantwortet werden dürfen. Ziel ist es entweder auf „Zeit“ (in einem bestimmten Zeitrahmen) oder „Menge“ (eine möglichst hohe Anzahl) Fragen zu sammeln.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass diese Herangehensweise (Suche nach Fragen statt nach Antworten) dazu führt, dass sich ganz neue Sichtweisen und Fragestellungen entwickeln. Jenseits klassischer Lösungsansätze können Arbeitsprozesse oder Probleme mit einer frischen Perspektive angegangen werden und über die (neu gestellten) Fragen kreative Lösungsansätze gefunden werden.
Wann sollte dieses Rezept angewandt werden?
Gerade dort, wo sich das Gefühl einstellt, dass gewisse Lösungen einfach aus Gewohnheit („das haben wir immer schon so gemacht“) angewandt werden oder bei der Einarbeitung in komplett neue Themenstellungen, bietet sich die Question Formulation Technique an. Sie sorgt bei den Beteiligten für ein hohes Aktivierungspotential, das sich in Neugier ausdrückt: Die Mitarbeitenden werden gezielt motiviert, sich nach neuen Informationen umzuschauen und daraus neue Perspektiven zu entwickeln. Die Wissbegierde steigt und auch die Bereitschaft, sich auf die Ideen anderer einzulassen.
Resilienz und Neugier aktiv fördern: Die Führungskraft als Coach
Die Erkenntnis und die Forderung „die Führungskraft ist der erste Personalentwickler“ gibt es schon seit vielen Jahren. Deutlich näher am Mitarbeitenden als die Personalabteilung ergab sich daraus oft eine gewisse Art von Arbeitsteilung: Die Personalabteilung konzentriert sich mehr auf die längerfristige Aus- und Weiterbildung und die Führungskräfte kümmern sich um die kleinteiligen Seminare und Trainings – aufgrund der Beobachtungen in der Praxis und oftmals mit dem Ziel, „Defizite“ und „Lücken“ im fachlichen, methodischen oder auch kommunikativen oder sozialen Bereich auszugleichen.
Im Zuge von Transformationsprozessen geht es darum, Entwicklungswege und Rezepte zu finden, um Eigenschaften und Kompetenzen wie Resilienz und Neugier zu fördern und zu trainieren. Die Lern- und Entwicklungsziele werden damit wesentlich anspruchsvoller und komplexer und die Anforderungen an die Führungskräfte steigen dementsprechend. Statt „Führungskraft als Personalentwickler“ gilt jetzt das Konzept „Führungskraft als Coach“.
Im betrieblichen Alltag dient Coaching oft als eine Art Sammelbegriff für vielfältige Beratungsmethoden. Sie verbindet eine bestimmte Coaching-Haltung, die den Coachee und seine Perspektive in das Zentrum aller Überlegungen stellt. Der Coach versteht sich als Gestalter und Förderer von einem Prozess, der der Entwicklung eigener Lösungen durch den Coachee selbst dient. Der Coach bietet dementsprechend auch keine direkten Lösungsvorschläge an. Stattdessen sind methodische Ansätze wie „Fragen stellen“, „aktives Zuhören“, „nach Ressourcen und Stärken suchen“ zentrale Coaching-Ansätze. Das Coaching legt viel Wert auf eine empathische und respektvolle Beziehung – konsequent „auf Augenhöhe“.
Die Ansprüche an ein gutes Coaching wirken auf dem ersten Blick hoch und zudem scheint die besondere Beziehung zwischen Coach und Coachee („Hilfe zur Selbsthilfe“, keine Vorgaben oder Ratschläge etc.) nicht so leicht auf die Beziehung der Führungskraft zu seinen Mitarbeitenden übertragbar zu sein. Kein Wunder also, dass das Konzept „Führungskraft als Coach“ in der Praxis bislang eher zurückhaltend umgesetzt wird – obwohl es seit fast 30 Jahren diskutiert wird.
In dieser Zusammenstellung darf das Rezept „Führungskraft als Coach“ aber trotzdem nicht fehlen. Denn Coaching ist hochwirksam, wenn es darum geht, Neugier und Resilienz zu fördern und angesichts der Herausforderungen der Transformationsprozesse kann man es sich schlichtweg nicht leisten, auf die Qualitäten des Coachings in der Führungsarbeit zu verzichten.
Anhand der obigen Abbildung wird verdeutlicht, wie sich eine Führungskraft dem Coaching Schritt für Schritt annähern kann: Raus aus der vertrauten Perspektive des Entscheiders (oder des Experten) hin zu einem Führungsverständnis, das die Abstimmungen und Beziehungen mit den Mitarbeitenden immer mehr aus der Blickrichtung eines Coaches versteht.
Wann sollte dieses Rezept angewandt werden?
Dieses Rezept geht weiter als die einfache Anwendung von Methoden und Tools. Hier macht sich die Führungskraft explizit eine neue Rolle zu eigen, um die Entwicklung der Neugier und der Resilienz seiner Mitarbeitenden zu begleiten und zu coachen. Auf Basis der obigen Abbildung kann sich jede Führungskraft auch im Tagesgeschäft mit dem Konzept auseinandersetzen und dieses Rezept zur Förderung von mehr Resilienz und Neugier ausprobieren.
Die Führungskraft reduziert dazu in ihrer eigenen Führungsarbeit bewusst ihre Rolle als „Führungskraft als Entscheider“ („Ich bin die Führungskraft und entscheide, was hier zu tun ist ...“) und auch die Rolle als „Führungskraft als Experte“ („Ich weiß aufgrund meiner Expertise am besten, was hier zu tun ist ...“). Stattdessen integriert sie immer mehr das Rollenverständnis einer „Führungskraft als Coach“ (Was brauchen Sie, um erfolgreich zu sein“) und unterstützt ihre Mitarbeitenden, soweit es geht bei der Entwicklung und Umsetzung eigener Konzepte und Lösungswege. Damit rückt automatisch immer mehr das „wie“ der Arbeit ins Zentrum (anstatt des „was“). Die Führungskraft ist bestrebt, die Mitarbeitenden in ihrer Selbstführung und -steuerung zu unterstützen. Sie unterstützt bei Schwierigkeiten, weckt das Interesse an anderen Perspektiven, ermuntert neue Vorgehensweisen auszuprobieren und auch eigene Ziele zu entwickeln.
An dieser Stelle sei ein Blick auf den sprachlichen Ursprung des Begriffs Coaching gestattet: „Coaching“ wurde ursprünglich von der Person eines „Coach“ abgeleitet und bedeutete früher „Kutscher“ (Coachman) und „Wagenlenker“. Dabei zieht er aber nicht selbst die Kutsche, sondern gibt als Coach Hilfestellungen und treibt an („motiviert“). Im modernen Sport beobachten wir, dass die Bezeichnung „Coach“ zunehmend den Begriff des „Trainers“ bzw. „Übungsleiters“ ersetzt. Und das folgende Beispiel zeigt ebenfalls die Integration von Coachingansätzen in die Führungsarbeit.
Agile Arbeitsformen fördern: Scrum und die „dienende“ Führungskraft
Klassische Führungsformen sind für die moderne Arbeitswelt oft zu langsam, sie können mit der Dynamik und Komplexität schlecht umgehen und haben auch deshalb Produktivitätsnachteile. Das Konzept des agilen Managements bietet seit Jahren eine attraktive Alternative, die stark auf die Selbstverantwortung der Mitarbeitenden und der Teams setzt und hierüber auch die Resilienz und Neugier systematisch fördert. Die Wurzeln des agilen Managements liegen in die 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Aber den Durchbruch markiert das so genannte Agile Manifesto aus dem Jahr 2001:
Manifest für Agile Softwareentwicklung:
Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:
- Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
- Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
- Zusammenarbeit mit Kunden mehr als Vertragsverhandlung
- Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans
Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.
Agile Managementkonzepte basieren auf Arbeitsmethoden wie beispielsweise Scrum. Hier übernimmt der sogenannte Scrum Master wichtige Aufgaben in Bezug auf die Organisation und die Motivation eines agilen Teams. Zusammen mit der Rolle des sogenannten Product Owner repräsentiert der Scrum Master ein Konzept von Führung, bei dem die Führungsverantwortung weitestgehend an die Mitarbeitenden und an das Teams übertragen werden. Wichtige Führungsinstrumente sind tägliche Abstimmungsrunden (Daily), gemeinsame Planungszyklen (Sprints), transparente Ziele (Backlog), regelmäßiges Reporting und Feedback (Review) sowie teamfördernde Workshops (Retrospektive).
Ausgehend von der IT-Entwicklung und dann sukzessive in allen anderen Unternehmensbereichen steht das agile Management für ein neues Verständnis von Management und Führung. Es wird deutlich mehr Wert auf Selbstverantwortung, Selbstorganisation und Teamautonomie gelegt und der Dialog „auf Augenhöhe“ ist ein ganz zentrales Element. Die Aufgabenverteilung und Arbeitsabläufe werden selbständig im Team entwickelt und organisiert. Das Team und seine Mitglieder erleben sich als selbständig, souverän und autonom und sie haben auch einen spürbaren Einfluss auf ihre Arbeitsziele und Aufgaben gebiete. Dadurch üben sie sich darin, den Status Quo immer wieder zu hinterfragen und selbständig nach neuen Ansätzen für die Arbeitsgestaltung zu suchen. Sie entwickeln und trainieren auf diese Weise ihre Resilienz und Neugier – als einzelne Person und als Team. Die bereits vorgestellten Rezepte wie Job-Rotation, Diversität oder kollegiale FallBeratung sind feste Elemente einer agilen Arbeitswelt.
Wann sollte dieses Rezept angewandt werden?
Je komplexer und dynamischer die Aufgaben und Herausforderungen bei der Arbeit sind, desto stärker wiegen die Besonderheiten und Vorteile agiler Managementmethoden. Scrum oder ähnliche Ansätze sind nicht nur leicht zu erklären, sondern lassen sich meist auch recht einfach einführen. Die Herausforderungen liegen freilich in der Umsetzung im Arbeitsalltag. Das hohe Maß an Eigenverantwortung und die enge Zusammenarbeit im Team kann – je nach Ausgangssituation – als starke Veränderung wahrgenommen werden. Es bedarf also Zeit zum Üben und Trainieren sowie zur gemeinsamen Reflektion. Daher empfiehlt es sich, zunächst mit „einfachen“ Projekten oder Aufgaben anzufangen. Hilfreich – aber weder notwendig noch Voraussetzung – ist es, wenn bereits positive Erfahrungen mit Ansätzen wie der kollegialen Fall-Beratung oder der Job-Rotation gesammelt wurden.